Alles, was Sie übers Impfen wissen müssen

Dr. Christoph Spinner (Infektiologe und Pandemiebeauftragter des Uni-Klinikums rechts der Isar) im Interview mit Autor Andreas Beez

 Lohnt sich eine Impfung, wenn man nur das vergleichsweise schlecht wirkende Astrazeneca-Serum bekommen kann?

„Auf jeden Fall“, betont Dr. Christoph Spinner, Infektiologe und Pandemiebeauftragter des Uni-Klinikums rechts der Isar. Betrachte man den Schutz vor allen symptomatischen Covid-19-Erkrankungen, schließt also auch die leichten Verläufe mit ein, liege die Wirksamkeit der Impfstoffe von Biontech und Moderna in den Studien bei über 90 Prozent und der von Astrazeneca bei vergleichsweise mauen 60 Prozent. „Allerdings schützt der Impfstoff von Astrazeneca sehr wahrscheinlich zu einem viel höheren Prozentsatz vor einem schweren Verlauf oder gar Tod“, sagt Spinner. Bedeutet: „Der Impfstoff mildert in den allermeisten Fällen zumindest den Krankheitsverlauf stark ab – und das ist ja gerade bei vielen älteren Patienten entscheidend.“

„Dieser Vorteil hat sich auch beim Impfstoff des US-Pharmakonzerns Johnson & Johnson herauskristallisiert, der derzeit im Rechts der Isar getestet wird. „Hier liegt der allgemeine Schutz vor einer Erkrankung bereits nach einer Einmalgabe bei durchschnittlich 66 Prozent, aber in keinem einzigen Fall gab es nach den ersten 28 Tagen nach der Impfung eine Klinikaufnahme oder einen tödlichen Verlauf“, sagt Studienleiter Christoph Spinner.

■  Warum sind in Südafrika die Impfungen mit Astrazeneca gestoppt worden?

Dort entpuppen sich die Mutationen als Problem. Bei der südafrikanischen Variante schützt der Astrazeneca-Impfstoff nur zu etwa zehn Prozent vor einer Erkrankung. Trotzdem sieht Infektiologe Christoph Spinner den Impfstopp skeptisch. „Man hätte auch untersuchen sollen, wie groß die Schutzwirkung mit Blick auf einen schweren Verlauf ist.“

■   Könnte man bei der zweiten Spritze ein anderes Produkt nehmen als bei der ersten?

In England läuft dazu eine Studie. Die Teilnehmer erhalten zunächst mRNA-Impfstoffe wie Biontech/Pfizer oder Moderna, mit der zweiten Spritze Adenovirus-Impfstoffe wie Astrazeneca. „Es ist aber völlig offen, wie gut Verträglichkeit und Wirkung bei dieser Impfstrategie sind“, sagt Spinner. „Deshalb wird sie in Deutschland bislang nicht angewendet.“

■  Wie hoch ist der Schutz nach der ersten Spritze?

Nach Schätzungen liegt die Wirkung der Erstdosis von mRNA-Impfstoffen bei etwa 60 Prozent. Noch fehlen aber belastbare Studiendaten dazu. „Und man ist immer gut beraten, wenn man die Dinge so macht, wie sie erforscht wurden“, sagt Spinner. Die volle Wirkung mit über 90 Prozent Schutz haben die Impfstoffe von Biontech und Moderna erst nach der Zweit-impfung nach drei Wochen bzw. vier Wochen gezeigt. „Wenn man davon abweicht, muss man davon ausgehen, dass eine schlechtere Wirksamkeit bestehen könnte. Und je größer der Abstand zwischen den Impfungen ist, desto größer wird das Problem.“ Weil es massive Lieferprobleme gibt, können deshalb nicht alle verfügbaren Dosen zur Erstimpfung genutzt werden. Die Zweitimpfung wäre sonst gefährdet.

■  Wie lange hält der Schutz?

Das ist unklar. Nach bisherigen Erkenntnissen ist man mindestens einige Monate geschützt – der Schutz besteht aber vermutlich länger. Wie viel länger, dafür fehlt es noch an Langzeitdaten. Anhaltspunkte könnten genesene Patienten liefern. „Man weiß von ihnen, dass sie mindestens acht Monate sicher immun sind“, erklärt Spinner. „Allerdings gehen wir davon aus, dass die Immunität mit der Zeit nachlässt.“

■  Kann ich als Geimpfter andere anstecken?

Das ist möglich. Zum einen, weil keiner der Impfstoffe hundertprozentig vor einer Ansteckung schützt. Zum anderen führt die Impfung nicht zu einer sogenannten sterilen Immunität. „Selbst wenn man durch die Impfung vor einem schweren Krankheitsverlauf geschützt ist, kann man das Virus trotzdem übertragen“, erklärt Spinner. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, ist unklar.

Hoffnung macht eine neue Studie aus Israel. Infizieren sich Menschen nach einer Impfung mit dem Erreger, reproduzieren sie laut Studie anscheinend weniger Viren als Ungeimpfte – und wären damit weniger ansteckend. Das gelte schon nach einer einzigen Impfdosis, schreiben die israelischen Forscher in der noch ungeprüften Studie. Clemens Wendtner von der München Klinik Schwabing wertet das Resultat als „Anlass zur Hoffnung“.

■  Was ist eine Impfreaktion?

Das Immunsystem reagiert auf die Impfung. Mediziner nennen das Reaktogenität. Die Folgen sind in der Regel harmlos. „Relativ häufig gibt’s mal eine Rötung oder Schwellung rund um die Einstichstelle, mitunter auch etwas Fieber. Meist verschwinden diese Reaktionen binnen 24 Stunden wieder. Schwere Reaktionen sind eine absolute Rarität“, sagt Spinner. Ist eine Impfreaktion ein gutes Zeichen? „Ja. Sie zeigt, dass der Impfstoff wirkt.“

■  Hängen Verträglichkeit und  Wirksamkeit der Impfung mit dem Alter zusammen?

Ja. Bei klinischen Studien hat sich gezeigt, dass Jüngere oft stärkere Reaktionen zeigen als Ältere. „Das hängt damit zusammen, dass sich das Immunsystem jüngerer Menschen besser aktivieren lässt“, erklärt Spinner. „Wir wissen inzwischen auch, dass viele Impfungen bei älteren Menschen etwas schlechter wirken als bei Jüngeren.“

■  Wie hoch ist die Schutzwirkung im Vergleich zum Grippe-Impfstoff?

„Alle Corona-Impfstoffe schützen sehr viel besser. Es gibt Grippe-Saisons, in denen der Impfstoff bei über 60-Jährigen nur zu 20 Prozent gewirkt hat“, sagt Spinner. Aber auch hier gilt: „In sehr vielen Fällen wurde eine schwere Influenza-Erkrankung verhindert. Deshalb ist auch die Grippeimpfung sinnvoll.“

■  Wirken die Impfstoffe auch gegen Virusmutationen?

Diese Frage lässt sich noch nicht beantworten. Wissenschaftler gehen davon aus, dass es eine Schutzwirkung gibt, sie könnte aber etwas schwächer sein. Moderna arbeitet nach eigenen Angaben bereits an Impfstoffvarianten, die effektiver vor den Mutationen schützen. „Es wird in Zukunft immer wieder nötig sein, die Impfstoffe anzupassen“, sagt Spinner.

■  Können Corona-Impfstoffe Krebs verursachen?

„Darauf gibt es überhaupt keine Hinweise“, betont Spinner. „Messanger-RNA-Impfstoffe wie Biontech oder Moderna transportieren vereinfacht erklärt Bauanleitungen des Virus in die Zelle, sodass das Immunsystem die Erreger erkennen und sich dagegen wappnen kann. Diese Bauanleitungen werden aber nach wenigen Tagen wieder zerstört. Das heißt: Das Erbgut wird nicht dauerhaft verändert und kein Krebs verursacht.“

■  Stehen weitere Impfstoffe vor der Zulassung?

Weitere Impfstoffe könnten bald zugelassen werden. So hat Johnson & Johnson in den USA einen Zulassungsantrag für seinen Vektorimpfstoff gestellt und will die Unterlagen auch bald bei der europäischen Arzneimittelagentur EMA einreichen. Die Tübinger Firma CureVac hat bei der EMA eine Notfallzulassung beantragt.

■  Kann die Impfung den PCR-Test beeinflussen?

„Die Impfung selbst verursacht keinen positiven PCR-Test“, erklärt Christoph Spinner. „Der PCR-Test kann zwischen Infektion und Impfstoff unterscheiden. Das hängt vereinfacht erklärt mit bestimmten Eiweißbestandteilen zusammen, die der Impfstoff als Bauanleitung beinhaltet.“ Aber: Keiner der Impfstoffe garantiert 100-prozentigen Schutz vor der Infektion. Und man kann sich auch kurz vor der Impfung angesteckt haben, ohne es schon zu wissen. Ein Beispiel: Man handelt sich am Montag das Virus ein, die Inkubationszeit beginnt. Am Dienstag nimmt man den Impftermin wahr, am Samstag bekommt man Covid-19-Symptome. Wegen der Inkubationszeit von fünf bis sechs Tagen kann es also nach der Impfung einen positiven Test geben. Mit der Impfung hat das aber nichts zu tun.

■  Kann man sich den Impfstoff aussuchen?

Nein. „Ein Recht, den Impfstoff eines bestimmten Herstellers zu wählen, besteht nicht“, erklärt das bayerische Gesundheitsministerium auf Anfrage. Falls es überhaupt eine Auswahl gebe, entscheidet der Arzt, welcher Impfstoff zum Einsatz kommt. Ob man vorab erfährt, welchen Impfstoff man bekommen soll, entscheidet jedes Impfzentrum selbst. Allerdings kann man den Impfstoff ablehnen, denn die Impfung ist freiwillig. Wer das tut, muss sich aber für einen neuen Termin wieder hinten anstellen. Und welchen Impfstoff man dann bekommt, liegt wieder nicht in der eigenen Hand.

■  Bekommen auch bereits Erkrankte eine Impfung?

Ja. Allerdings sollte die Erkrankung sechs Monate zurückliegen, so lange sind genesene Corona-Patienten laut Studien ohnehin geschützt.

■  Schützt eine Impfung vor Reise-Quarantäne?

Nein. Eine Impfung schützt einen bei der Rückkehr von Reisen in Risikogebiete nicht vor einer Quarantäne, da bisher unklar ist, ob man andere trotzdem noch anstecken kann.

Quelle: Münchner Merkur – Süd vom 13.02.2021, Seite 3