„Diagnostik-Dialog“ diskutiert zum Thema biomarkerbasierte Brustkrebstests

Ein persönlicher Kommentar von Renate Haidinger (1.Vorsitzende von Brustkrebs Deutschland e.V.) zum 1. Diagnostik Dialog am 24.04.2018:

Um eine Plattform für solche Gespräche zu bieten, hat der Geschäftsführer von IGV Research – dem Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung und ehemalige Vorstandsvorsitzender der DAK gemeinsam mit Wanke Consulting die Veranstaltungsreihe „Diagnostik-Dialog“ ins Leben gerufen. „Wir sind davon überzeugt, dass die Verständigung über eine moderne, angemessene Therapie nur dann gelingen kann, wenn alle Akteure in einen Dialog treten“, so die Veranstalter.

Bei dieser Veranstaltung diskutierten Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis sowie der Selbstverwaltung und aus der Politik über aktuelle Entwicklungen und neueste Studienergebnisse zu den biomarkerbasierten Brustkrebstests.

Prof. Harbeck; Leiterin des Brustzentrums der Universität München (LMU) und Scientific Director der Westdeutschen Studiengruppe (WSG)

Frau Professor Harbeck aus München, sowie Herr Professor Jackisch aus Offenbach zeigten bisherige Studienergebnisse und auch, dass diese Tests bereits im Alltag der Brustkrebsbehandlung angekommen seien. Infrage kommt der Test für Patientinnen, die einen hormonrezeptor-positiven und HER-negativen Tumor haben. Leider erstatten bisher nur einige wenige gesetzliche Krankenkassen diesen Test, es gibt also keine Regelversorgung.

Daher war das IQWIG, das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, beauftragt worden, die bisherigen Daten zu beurteilen. Hierzu hielt vom IQWIG Herr Dr. Fleer einen Vortrag, wie das IQWIG zu dem Ergebnis kam, dass diese Tests keinen Zusatznutzen hätten. *

Bei der Podiumsdiskussion der Veranstaltung wurde dann festgestellt, dass diese Zusammenlegung einen erheblichen Fehler darstellt, da diese beiden Gruppen von Patientinnen NICHT zusammengefasst werden können.

Warum?

Bei einem Lokalrezidiv handelt es sich, wie der Name auch schon vorgibt, um ein örtlich begrenztes Wiederauftreten der Erkrankung, dessen Behandlung erneut auf Heilung zielt.

Bei einem Fernrezidiv handelt es sich um eine Metastasierung, d.h. die Erkrankung hat im Körper gestreut und die Behandlung zielt auf eine Tumorkontrolle, eine gute Lebensqualität mit möglichst langer Wirkungsdauer der Medikamente und natürlich, wenn möglich, auf Lebensverlängerung. Es ist jedoch KEINE HEILUNG mehr möglich.

Hier handelt es sich offensichtlich um ein Versehen, was umgehend korrigiert werden muss, um eine objektive Bewertung zu ermöglichen. Da diese Problematik vor und mit den zwei Vertretern des IQWIG erläutert wurde, gehe ich davon aus, dass es umgehend eine Neubewertung geben muss. Das IQWIG kann sich also nicht mehr darauf berufen, dass sie davon keine Kenntnis haben, dass Lokalrezidive und Fernrezidive zwei verschieden geartete Formen der Erkrankung seien.

Dr. Liebermann, Leiter der Community Medicine Division, Clalit Health Services, Israel

Herr Dr. Nicky Liebermann, Leiter der Community Medicine Division, Clalit Health Services, aus Israel  zeigte Versorgungsdaten von 2006 bis 2018 aus Israel. 53 % der israelischen Bevölkerung sind über Clalit versichert und 2006 wurde der Test für alle in Frage kommenden Patientinnen als Regelversorgung zugelassen, die N0, HR+ und HER2 – waren. Im Jahr 2008 wurden dann noch die Patientinnen dazugenommen, die N1mi/N1 waren. Seit Beginn durchliefen ca. 900 Patientinnen pro Jahr die Testung, in diesem Fall mit dem „Oncotype DX.“

Er wies darauf hin, dass die Ergebnisse zeigten, dass bei 40% der getesteten Patientinnen die Empfehlungen für die Behandlung geändert wurden und dass bei 84% dieser 40% der Patientinnen die Empfehlung von Chemotherapie plus antihormoneller Therapie zu antihormoneller Therapie alleine lautete. Wenn man nun die vielen Akut- und Langezeitnebenwirkungen von Chemotherapien bedenkt, erspart eine Chemotherapie, die nicht gegeben werden muss, den Patientinnen nicht nur viele mögliche und lebensbeeinflussende Nebenwirkungen, sondern stellt auch ein Einsparungspotential dar für das Gesundheitswesen und diese Gelder könnten wiederum anderweitig zum Nutzen von Patienten ausgegeben werden. Über die Erleichterungen bezüglich Arbeitsleben, Alltag etc. möchte ich hier nicht weiter eingehen.

Bei der Untersuchung und Publikation der Daten von 1504 Patientinnen auf einem Wissenschaftsposter von Stemmer et al, welches 2017 beim San Antonio Breast Cancer Symposium gezeigt  wurde, zeigte sich für Patientinnen ohne Lymphknotenbefall, dass bei einem RS (recurrence score) von kleiner 18 nur 1,8 % eine Chemotherapie erhalten, das Risiko für eine Fernmetastasierung innerhalb von 10 Jahren bei 4% liegt und das Risiko an der Brustkrebserkrankung zu versterben bei 1,8% in diesem Zeitraum liegt. Bei Patientinnen mit einem Lymphknotenbefall von N1mi bekommen 6,1 % eine Chemotherapie, das Risiko einer Fernmetastasierung liegt bei 1% und das Sterberisiko bei 1,7 %. Bei Patientinnen, die „nur“ eine antihormonelle Therapie bekommen hatten,  waren die Zahlen für 10 Jahre  bei N0 bei 3,9% für das Risiko einer Fernmetastasierung und 1,9% für das Sterberisiko in diesem Zeitraum.

Bei Patientinnen ohne Lymphknotenbefall und einem recurrence score (den der Test ermittelt) von 18-25 waren die Daten vergleichbar, ob mit Chemotherapie und antihormoneller Therapie (7,6%) behandelt oder nur mit antihormoneller Therapie (7,2%) wurde.

Renate Haidinger, 1. Vorsitzende Brustkrebs Deutschland e.V.

Renate Haidinger (1. Vorsitzende von Brustkrebs Deutschland e.V.) stellte die Ergebnisse einer Onlinebefragung von Patientinnen zu Langzeitnebenwirkungen der Brustkrebstherapie vor. Innerhalb von 6 Wochen hatten 1506 Patientinnen einen Onlinefragebogen vollständig ausgefüllt. In dieser Befragung gaben unter anderem ca. 30 % der Patientinnen, die eine taxanhaltige Chemotherapie erhalten hatten, an, dass sie bleibende Gefühlsstörungen in Händen und Füßen oder sogar Taubheitsgefühl hatten. Die Gesamtergebnisse werden demnächst in einem Fachjournal veröffentlicht.

Dr. Klaus Koch vom IQWIG hielt einen Vortrag zum Thema „Informierte Entscheidung: Wie lässt sich die Unsicherheit vermitteln?“ Hierzu möchte ich nicht weiter Stellung nehmen, da ja scheinbar auch seitens des IQWIG ausreichend Unsicherheit besteht, wenn es um die Bewertung von Daten gibt, wie wir am Beispiel von Lokal- und Fernrezidiven gesehen haben.

Enttäuschend finde ich, dass die vom IQWIG herausgegebenen Publikationen anstandslos von der Frauenselbsthilfe nach Krebs „abgewunken“ wurden und unterstützt werden. Hier würde ich mir auch mehr Fachwissen und Genauigkeit wünschen.

Bei der abschließenden Podiumsdiskussion wurde die anwesenden Vertreter des G-BA (gemeinsamer Bundesausschuss) gefragt, ob denn die neuen Daten zu einem der Tests von einer sehr großen Studie, der TAILORx-Studie, die beim ASCO Anfang Juni gezeigt werde, in die Entscheidung für oder gegen eine Regelversorgung einfließen würden. Die spontane Reaktion eines Mitlgieds des G-BAs, dass das der G-BA noch entscheiden müsste, wurde von einem anderen Mitglied dieses Ausschusses relativiert mit der Erklärung, dass man nun, nach Bekanntwerden der Tatsache, dass diese Daten beim größten Krebskongress, dem ASCO vom 1.-5.5.2018 in Chicago gezeigt und mehr oder weniger zeitgleich auch publiziert werden, nicht drum herum käme, diese Daten noch mit einzubeziehen.

Alles in allem war diese Veranstaltung wichtig und zeigt, wie wichtig es ist alle „Parteien“ zusammenzubringen, um einander zu verstehen, voneinander zu lernen oder auch im Anschluss, wenn nötig, Korrekturen vorzunehmen.

Mein persönlicher Wunsch wäre, dass die Fachgesellschaften (im Falle von Brustkrebs die AGO Mamma, die Deutsche Gesellschaft für Senologie und zusätzlich die DHGO) vom IQWIG hinzugezogen würden, damit künftig KEINE fundamentalen Fehler bei Bewertungen mehr gemacht werden. Das kann für uns Patienten und Patientinnen nur von Vorteil sein.

* Auf ausdrücklichen Wunsch von Hr. Dr. Fleer vom IQWIG wurde die folgende Passage aus dem Text entfernt: Bei seinem Vortrag erwähnte Herr Dr. Fleer, dass „ der Einfachheit halber haben wir die Lokalrezidive und die Fernrezidive zusammengefasst“.

(Der Text ist urheberrechtlich geschützt.)