Ein Plädoyer für einen verantwortungsbewussten Umgang der Medien mit dem Thema Krebs
ein Artikel von Katharina Erkelenz (facebook-Bloggerin / Krebscocktail – Live von der Onko-Bar)
Meine Brustkrebs-Diagnose bekam ich Anfang Februar 2015. Natürlich erschütterte mich diese zutiefst und natürlich brach meine kleine Welt zusammen. Ich weiß noch genau, dass ich die ersten Tage nahezu vollständig damit verbrachte, entweder zu weinen und mein Leben in Gedanken abzuschließen oder in Dr. Googles 24-Stunden-Notfallpraxis nach Antworten oder anderen Frauen, wie ich es nun eine geworden war, zu suchen. Eine Suchanfrage lautete auch „Prominente mit Brustkrebs“. Ich suchte nach wunderbaren Geschichten mit Happy End und Google spuckte Namen aus, nicht nur wenige, nein, es waren zahllose. Ich suchte konkreter. Wie hieß noch einmal die Schauspielerin, die an Brustkrebs erkrankt war? Barbara Rudnik. Also gab ich ihren Namen ein und fand einen Wikipedia-Eintrag. Diagnose im Dezember 2005, verstorben im Mai 2009.
„Ist das eine lange Überlebensdauer?“, fragte ich mich und rechnete zum Alter meines dreijährigen Sohnes vier Jahre hinzu. Er wäre, wenn ich auch vier Jahre schaffen würde, bei meinem Ableben sieben Jahre alt und Zweitklässler. Mir lief ein kalter Schauer den Rücken hinab. Nein, eigentlich war das nicht das, wonach ich suchte. Ich suchte nach Mut machenden und Hoffnung schenkenden Geschichten. Geschichten mit mehreren Bänden – auf keinen Fall eine Kurzgeschichte!
Also nochmal: „Sylvie Meis Brustkrebs“. Ah ja, Diagnose im Sommer 2009, Chemotherapie bis Dezember 2009. Es war 2015, also war ihre Erkrankung schon sechs Jahre her. Ich kannte sie als quirliges Energiebündel bei „Let’s Dance“, als eine immer optimistische Person, ganz gleich, wie hart ihr das Leben gerade mitspielte. Aber was hatte sie für einen Brustkrebs?
Ich wusste zu diesem Zeitpunkt meiner Recherchen bereits, dass es viele verschiedene Brustkrebsarten gibt und dass sie sich insbesondere auch in ihren Prognosen unterscheiden. Ich versuchte, etwas über Frau Meis’ Brustkrebs heraus zu finden, aber leider ohne Ergebnis. Ich wollte doch unbedingt wissen, wie ich bezogen auf die Erkrankung im Vergleich zu ihr da stand. Das war wirklich zum Verzweifeln!
Wie hieß denn noch gleich die andere Prominente, deren Diagnose schon so lange Zeit zurück lag? Mir fielen direkt drei auf einmal ein! Die Sängerinnen Anastacia, Melissa Etheridge und Kylie Minogue. Meine Recherche zu Anastacia ergab, dass sie zwar immer noch lebte, aber insgesamt zwei Mal erkrankt war. Schluck! Das wollte ich nicht! Melissa Etheridge und Kylie Minogue und ja, auch Anastacia waren zwar wie Sylvie Meis tolle Beispiele für starke Frauen, die den Brustkrebs überlebt hatten, aber ich konnte auch hier nicht herausfinden, was genau sie für einen Brustkrebs hatten.
Auch im weiteren Verlauf der Erkrankung, immer wenn ich neue betroffene Frauen kennenlernte, war es mir persönlich sehr wichtig, zu erfahren, wie ihre Diagnose genau aussah, um mich mit ihnen vergleichen und „einsortieren“ zu können auf der Skala der Hoffnung, die von hoffnungslos bis hoffnungsvoll reichte.
Dieses Phänomen ist in den zahllosen Facebook-Gruppen und auch im realen Leben, in den Arztpraxen und Chemo-Ambulanzen, immer dann, wenn man auf andere Patientinnen trifft, zu beobachten. Die allermeisten von uns sind nach der Diagnose völlig verloren und müssen sich erstmal positionieren und sich darüber klar werden, was es denn tatsächlich für sie bedeutet, Brustkrebs zu haben. Klar, die Ärzte geben die Richtung vor, sagen schon, ob man in einer heilbaren oder in einer unheilbaren Situation ist, aber nicht jede Patientin oder jeder Patient hat das große Glück, einen so empathischen und menschlichen Arzt zu haben wie ich. Das führt dazu, dass viele Frauen häufig eben nicht wirklich wissen, wo sie stehen. Oder es wurde ihnen gesagt, aber leider in der schwer verständlichen Sprache der Mediziner und zu einem Zeitpunkt, in dem sie nicht aufnahmefähig waren. Also machen sie sich selber auf die Suche nach Antworten und wählen häufig den Weg des Vergleichs mit anderen.
Hierbei sind die Medien und insbesondere das Internet Fluch und Segen zugleich.
Es ist eine großartige Hilfestellung, dass man so vieles online lesen und lernen kann, dass man recht einfach andere Frauen finden und sich vernetzen kann, dass es Arztbewertungen und Klinikvergleiche online gibt. Aber wie mir eine Ärztin mal sagte: Das Internet ist nicht kritisch. Man findet professionelle Seiten und Online-Lexika, Studienportale und die Seiten der bekanntesten Selbsthilfeorganisationen, wie zum Beispiel Brustkrebs Deutschland e. V., die Seiten des Krebsinformationsdienstes oder der Krebsgesellschaft. Hier findet man guten Rat, auf dessen Inhalt man sich – bezogen auf seine Richtigkeit – meistens auch verlassen kann. Und man kann die Patientinnen und Patienten auch nur anhaltend motivieren, sich bezüglich ihrer Erkrankung zu bilden und fortzubilden. Der Feind verliert seinen Schrecken, wenn man möglichst viel über ihn weiß.
Leider gibt es aber auch unendlich viele Informationsangebote im Internet, deren Quellen fragwürdig sind. Es liegt oftmals auf der Hand, dass sich in den meisten Fällen die Richtigkeit der dort getroffenen Aussagen nicht ausreichend empirisch belegen lässt. Hier zu unterscheiden zwischen hilfreichen und irreführenden Internetseiten fällt den zumeist medizinisch ungebildeten Patientinnen und Patienten verständlicherweise schwer. Eine besondere Gefährlichkeit besteht darin, dass Internetseiten, auch wenn man sie als nicht-hilfreich entlarvt hat, trotzdem eine gewisse Verunsicherung hinterlassen.
Es gibt nicht nur die „bildenden Medien“ und sehr nützlichen Informationsangebote, es gibt auch die nach Quote gierende Presse, die tragische Todesfälle wie den von Hendrikje Fitz oder Jana Thiel schamlos dazu ausnutzt, um Angst und Schrecken auf Basis von Halbwahrheiten zu verbreiten. Alles mit dem Ziel, eine hohe Aufmerksamkeit und Auflage zu generieren. Da lässt man „Experten“ zu Worte kommen, die zwar Frauenärzte, aber eben keine auf Brustkrebs spezialisierten Ärzte sind oder man zitiert Mitarbeiter von Patientenorganisationen, mit denen persönlich gar kein Interview geführt wurde und deren Aussage völlig aus dem Zusammenhang gerissen wurde, weil sie sich so herrlich dramatisch lesen lässt. Und ich meine nicht nur die Käseblätter, von denen man gar nichts anderes erwartet, sondern durchaus die renommierte Tagespresse.
Vor kurzem erschütterte uns der frühe Tod der Moderatorin Miriam Pielhau. Sie hatte unlängst ihr Buch „Dr. Hoffnung“ veröffentlicht, in dem sie ein starkes Plädoyer für die Macht der Hoffnung und einer optimistischen Einstellung zum Krankheitsverlauf hält. Sie war präsent in zahlreichen Talk-Shows, in denen sie darüber berichtete, dass sie zum zweiten Mal an Brustkrebs erkrankt sei, sich nun aber in einer metastasierten Situation befände. Aktuell sei sie dank sehr guter Medikamente und einer hoffnungsvollen und achtsamen Lebenseinstellung krebsfrei. In Remission. Betitelt wurde es als ein „großes Wunder“.
Zahllose Patientinnen und Patienten ergriffen diesen zarten Halm und klammerten sich daran. Die meisten Frauen, die ihr Buch gelesen hatten und in einer ähnlichen Situation waren wie sie, verglichen sich mit ihr und wollten NATÜRLICH ihren Erfolg, ihre Remission, ihre Krebsfreiheit haben! „Wenn Miriam Pielhau das schafft, dann schaffe ich das auch!“. „Mein großes Vorbild!“. Diese Aussagen vernahm man überall. Umso schockierender die plötzliche Nachricht über ihren Tod, nur zwei Wochen nachdem ihr von ihrer Freundin Sylvie Meis ein Preis verliehen worden war. Alle, aber auch wirklich ALLE Brustkrebspatientinnen, die ihr Buch „Dr. Hoffnung“ als Wegweiser durch das dunkle Tal der Erkrankung verstanden und angenommen hatten, waren völlig geschockt. Trauer, Schmerz, Ratlosigkeit und Mitgefühl waren überall spürbar und berechtigterweise hatten diese Betroffenen auch viele Fragen. Wie konnte das jetzt passieren? Wie kann man so schnell am Brustkrebs sterben, wenn man in Remission beziehungsweise sogar krebsfrei ist? Was ist da schief gelaufen? Mit einem Male verpufften diese Träume und Ziele im Nichts und Antworten auf die Fragen gibt es immer noch nicht und wird es vermutlich auch in Zukunft nicht geben. Was übrig bleibt, ist ein Scherbenhaufen voller Angst. Nur ist diese Angst noch schlimmer und intensiver, als sie vor „Dr. Hoffnung“ bereits war.
Welcher Wunsch steht hinter diesem Beitrag?
Zum einen wünsche ich mir einen differenzierten und reflektierten Umgang der Medien mit der Krankheit Brustkrebs im Allgemeinen und diesen Schicksalen im Besonderen. Die verantwortlichen Medienvertreter, die zumeist nicht von Brustkrebs oder einer anderen furchtbaren Erkrankung betroffen sind, können sich natürlich nicht in uns Patientinnen und Patienten hinein versetzen. Aber wenn sie sich schon die Mühe machen und Ärzte zu Wort kommen lassen, dann doch bitte auch die richtigen Experten. Wünschenswert wäre, wenn man beim Verfassen der Artikel nicht nur mehr Rücksicht auf die Gefühle der Patientinnen und Patienten nähme (während ich dies schreibe, schelte ich mich selber für diesen wahnwitzigen Wunsch! Ironie OFF!), sondern sich auch um seriöse Informationen bemühte. Alles, was Ihr schreibt, liebe Redakteure, kommt ungefiltert bei uns an und trifft uns mitten ins Gesicht! Es verunsichert uns, es verängstigt uns und es kostet uns unendlich viel Kraft – die wir selten haben – uns aus den tiefen Löchern, in die Ihr uns stoßt, wieder heraus zu ziehen. Eine gute Recherche ist doch das A und O der Journalistik. Haltet Euch dran! Schlagzeilen wie „Es ist Krebs! Ist es das Ende?“, „Sie plant nur noch für 10 Tage im Voraus“ entlarven Euch als Sensationsgeier und als Berufsverfehler.
Zum anderen wünsche ich mir auch eine andere Form der Öffentlichkeit im Falle von erkrankten Prominenten. Es ist absolut richtig, dass die Erkrankung Privatsache ist und grundsätzlich niemanden etwas angeht. Wenn man sich für dieses Vorgehen entschieden hat, ist das zu respektieren. Wenn ein Prominenter allerdings mit seiner Erkrankung in die Öffentlichkeit geht, Filme dreht, Bücher schreibt, sich in Talkshows setzt und Patientinnen direkt anspricht, dann – so finde ich – ist es auch seine Pflicht, seine Krankheitsdiagnose im Detail transparent zu machen. Die meisten Frauen, die sich den Prominenten als Vorbild nehmen (und genau das ist doch sein Ziel! Vorbild zu sein und – tut mir leid, aber so ist es doch auch – Auflage zu machen), gehen in einen Vergleich. Die Frauen identifizieren sich, schlüpfen gedanklich in die Hülle desjenigen und nehmen sich ihn beziehungsweise sie als Vorbild. Dies ist eine große Verantwortung, die man sich bitte bewusst machen soll, wenn man seine Erkrankung ins Rampenlicht stellt.
Und wir Patientinnen und Patienten müssen uns schlussendlich immer wieder einprägen und uns vor Augen führen, dass jede Brustkrebserkrankung einmalig wie ein Fingerabdruck ist und nur sehr bedingt mit einer anderen Brustkrebserkrankung verglichen werden kann. Wir sitzen alle in einem Boot und tragen uns gemeinsam durch angstvolle Zeiten. Im Endeffekt steht aber unser Schicksal auf stets unterschiedlichen Blättern. Was wir aber teilen können und sollten, ist eine optimistische Grundhaltung, unsere Erfahrungen, unser Wissen und unsere Schultern zum Anlehnen. Wenn uns diese Differenzierung gelingt, ist schon sehr viel erreicht.