Psychoonkologische Unterstützung – sinnvoll oder überflüssig?

Eine Erkrankung an Brustkrebs stürzt fast jede Frau zunächst in ein emotionales Chaos. Die Diagnose ändert das Leben schlagartig und tiefgreifend: Der gesamte Alltag, alle Planungen werden über den Haufen geworfen durch die Notwendigkeit, den Krebs zu bekämpfen; unangenehme und Angst einflößende Therapien müssen erwogen werden; die körperliche Unversehrtheit ist bedroht und das Leben selbst hat seine Selbstverständlichkeit verloren – Leid und Tod sind plötzlich greifbar nah und werfen einen riesengroßen Schatten auf die gesamte Existenz.

Auch psychisch sehr stabile Menschen können in dieser Situation aus dem Gleichgewicht geraten. Große Angst, Traurigkeit und Wut sind normal, ganz besonders in der ersten Zeit nach der Diagnose, in der zunächst noch so viele Fragen ungeklärt sind – wie weit ist die Erkrankung fortgeschritten, wie wird die Therapie aussehen, und wie wird man damit zurecht kommen?

Auch andere Phasen der Erkrankung und Behandlung bringen besondere Belastungen mit sich. Dazu gehört die Zeit einer Chemotherapie, aber auch die Wochen nach dem Abschluss der intensiven Behandlung.

Viele Patientinnen fühlen sich dann plötzlich auf sich gestellt, vom Medizinbetrieb „ausgespuckt“ und „fallen in ein Loch“ – die Zeit, die gefüllt war mit Therapien ist zu Ende, in die Normalität aber, wie sie vor der Erkrankung bestand, führt nicht ohne Weiteres ein Weg zurück. Außerordentlich belastet sind selbstverständlich Patientinnen, bei denen sich bereits Metastasen gebildet haben, oder bei denen die Erkrankung nach zunächst erfolgreich scheinender Behandlung wieder auftritt.

Psychoonkologen, die einer Brustkrebspatientin Unterstützung anbieten, hören oft: „Sie können ja auch nichts ändern.“ Natürlich kann kein Psychoonkologe einer Frau die Last der Erkrankung abnehmen, aber psychoonkologische Unterstützung kann es leichter machen, diese Last zu tragen.

Jede betroffene Frau versucht mehr oder weniger bewusst, die Krankheit zu bewältigen – auf ihre persönliche Weise. Psychoonkologen oder – meistens – Psychoonkologinnen können dabei auf vielfältige Art Hilfestellung leisten.

Oft hilft einfach schon Information: Die meisten Patientinnen haben viele Fragen, Unsicherheiten und Zweifel, die mit einer Psychoonkologin in Ruhe und ohne Zeitdruck besprochen werden können. Mit einem Problem, das man gut kennt, kann man besser umgehen, es ist weniger unheimlich und macht im Allgemeinen weniger Angst!

Weiterhin werden die neben den besonderen Problemen einer Patientin vor allem ihre Ressourcen erkundet und aktiviert – zu den Ressourcen gehört alles, was stärkt und Mut macht. Das können Beziehungen mit Angehörigen und Freunden sein ebenso wie geliebte Beschäftigungen, Hobbys und Begabungen, oder religiöses und allgemein spirituelles Erleben.

Auch Erinnerungen können Halt geben, und manchmal lässt sich Kraft und Zuversicht aus Erinnerungen an frühere Krisensituation schöpfen, die gemeistert werden konnten.

Schließlich kann es erleichternd sein, in einer Psychoonkologin ein verständnisvolles Gegenüber zu haben, das da ist und zuverlässig auch dann zur Verfügung steht, wenn die Erlebnisse bedrohlich sind und die Angst sehr groß wird.

Neben Gesprächen nutzen Psychoonkologinnen auch andere Methoden, um den Umgang mit der Erkrankung zu erleichtern. Dazu gehört oft das Erlernen von Entspannungstechniken, aber auch Hypnotherapie, Kunsttherapie, Maltherapie, Tanztherapie und Heilsames Schreiben sind möglich. Psychoonkologen kennen die entsprechenden Angebote in ihrer Umgebung und können den Kontakt vermitteln.

Auch wenn erkrankte Frauen von Angehörigen oder Freunden gut unterstützt werden, kann psychoonkologische Unterstützung sinnvoll sein: Nahestehende Menschen sind mit betroffen und brauchen oft selbst psychoonkologische Unterstützung. Bei einer Psychoonkologin braucht sich eine erkrankte Frau keine Gedanken darüber zu machen, ob sie sie zu sehr belastet, und zudem hilft manchmal ein erfahrener Blick „von außen“.

Jede betroffene Frau sollte sich überlegen, ob sie die Unterstützung einer Psychoonkologin in Anspruch nehmen will. Das ist auf keinen Fall ein Zeichen von Schwäche, sondern eher von Kompetenz im Umgang mit der Erkrankung.

In manchen Fällen aber ist es besonders wichtig, psychoonkologische Unterstützung zu bekommen:

  • Wenn eine Frau neben der Erkrankung weitere große Belastungen zu bewältigen hat, weil die Erkrankung sie in einer ohnehin schon schwierigen Lebenssituation getroffen hat.
  • Wenn die Krankheitsbewältigung eine zu große Aufgabe wird und zu scheitern droht. Anzeichen dafür sind nicht nur anhaltende, übermächtige Angst und Traurigkeit, sondern auch andere Zeichen einer Depression wie Schuldgefühle und Selbstzweifel, vermindertes Selbstvertrauen, eine negative getönte Sicht der Vergangenheit und großer Pessimismus in Bezug auf die Zukunft. Außerdem anhaltende Schlafstörungen, ständige Müdigkeit oder ständige Unruhe, Appetitlosigkeit, die nicht durch die Therapie bedingt ist, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme und dauerndes Grübeln. Wenn sich Suizidgedanken aufdrängen, sollte unbedingt Hilfe gesucht werden
  • Wenn alles, was mit der Erkrankung zu tun hat, krampfhaft vermieden wird – auch das ist ein Zeichen für psychische Überforderung. Gerade dann treten oft auch Alpträume auf oder die Betroffenen werden von unabweisbaren Gedanken an die Erkrankung geradezu überfallen und durchleben in der Erinnerung immer wieder intensiv Situationen, die mit der Erkrankung zu tun haben. Meist kommt große Unruhe und Gereiztheit hinzu, die auch zu Spannungen mit dem Partner und anderen Angehörigen führen können. Hier muss man befürchten, dass sich eine akute Belastungsstörung oder – wenn solche Symptome lange anhalten – eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt.
  • Wenn die Belastung im Lauf der Zeit nicht abnimmt, sondern unverändert weiterbesteht oder sogar noch zunimmt.

Studien haben gezeigt, dass psychoonkologische Unterstützung die Lebensqualität von Krebspatienten verbessern kann. Darüber hinaus gibt es die Hoffnung, dass psychoonkologische Therapien auch die Prognose verbessern. Einzelne Studien scheinen diese Hoffnung zu bestätigen – in vielen anderen Studien aber zeigte sich kein Effekt auf die Prognose. Man muss deshalb davon ausgehen, dass sich der Verlauf der Erkrankung mit psychoonkologischen Mitteln nicht direkt beeinflussen lässt. Dennoch hat psychoonkologische Unterstützung auch langfristige Folgen: Sie hilft zu verhindern, dass die Erkrankung eine Betroffene dauerhaft aus ihrem psychischen Gleichgewicht bringt und zu einem Knick im Lebenslauf wird.

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Autorin:

Dr. rer. biol. hum. Kerstin Hermelink
Dipl.-Psychologin, Psychoonkologin, Leitende Psychologin an der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe

Mitglied des wissenschaftlichen Beirates von Brustkrebs Deutschland e.V.